Zurück zum Ich
Ich liebte das Schreiben, bevor ich das Lesen liebte.

Bekamen wir damals in der Grundschule ein Thema, über das wir einen Aufsatz schreiben sollten, sprudelten in meinem Kopf die Ideen. Ich konnte es nicht abwarten, Stift und Papier in die Hand zu nehmen und los zu schreiben.

Im Laufe des Lebens und des Erwachsenwerdens beschränkte sich meine Liebe zum Schreiben leider immer mehr nur noch auf Geburtstags- und Weihnachtskarten. Im Zeitalter von Smartphone und Email ist quasi keine Zeit, um sich Gedanken zu machen, wie man etwas mitteilen will oder wie man etwas schön (um)schreiben kann. Es zählen nur noch Zahlen, Daten, Fakten und dass man etwas möglichst schnell und kompakt mitteilt. "Komm auf den Punkt", hört man oft, wenn ein Bericht nicht schnell genug zur Kernaussage kommt.

Um diesen Zeitdruck, Stress und dieser Nüchternheit für einen Augenblick zu entfliehen, buchte ich mir neulich einen halben Tag in einer Therme. Vier Stunden zum "Relaxen zwischendurch", bevor der nächste Termin wartet. Aber immerhin vier Stunden, in denen ich mal nichts musste, sondern einfach mal nur konnte: Die Seele baumeln lassen, zum Beispiel. Mit im Gepäck eine dieser wunderbaren neuen Zeitschriften, bei denen allein das Titelblatt einen Entspannen lässt.
"Die Magie des Augenblicks - Ganz ohne Hast die wahren Glücksmomente erleben", lautete der ansprechende Titel dieser Ausgabe. Und tatsächlich, nachdem ich auf Seite 31 angekommen war, erlebte ich ihn: meinen kleinen, ganz persönlichen wahren Glücksmoment.

In dem Artikel, der auf Seite 31 änderte, ging es um handgeschriebene Worte. Eine "Liebeserklärung an den handgeschriebenen Brief". Dieser Beitrag hat mich getroffen - Im positivsten Sinn. Mit der Hand schreiben heißt, sich Zeit nehmen, raus aus der Hektik des Alltags. Mit der Hand schreiben heißt auch Wert schätzen - sich selbst, seine eigenen Fähigkeiten, aber natürlich auch und vor allem Anderen den Leser.

Nachdem ich den Artikel fertig gelesen hatte, klappte ich die Zeitschrift ersteinmal zu. Ich gönnte mir einen Moment des Nachsinnens. Wem könnte ich mal wieder schreiben? Einen richtigen Brief? Ich dachte an eine Freundin aus der Schulzeit, mit der ich mich regelmäßig zu Leseabenden traf, um die großen Dichter zu lesen. Wir liebten die Magie der Wörter und fühlten uns bisschen wie im "Club der toten Dichter"...

Und wie ich so nachdachte, begann ich, meine Umgebung wieder wahrzunehmen. Mein Blick wanderte durch die große Fensterfront nach draußen. Ich stellte fest, dass es anfing zu regnen. Während ich hier in der warmen Luft der Therme saß, wurde der Regen draußen immer heftiger. Eigentlich wollte ich sofort aufspringen und ins Außenbecken gehen. Es wäre bestimmt herrlich, im warmen Wasser zu treiben, während der Regen auf einen niederprasselt. Aber ich hielt kurz inne und blieb stattdessen sitzen. Ich beobachtete die Tropfen, die, fast wie Perlen auf einer Schnur, durch den Wind schräg gegen die Fensterscheiben gedrückt wurden. Dieser Anblick war beruhigend und berauschend zugleich. Während ich beobachtete, wie die andern Badegäste im Außenbecken vor Freude die Arme aus dem Wasser hoch in den Regen streckten, breitete sich in mir ein unbeschreibliches Glücksgefühl aus.
Ich wollte es konservieren, (mit)teilen. Aber ohne Smartphone, mit dem ich den Regen hätte filmen oder jemanden hätte anrufen können, blieb ich einfach nur sitzen. Kaum zu glauben, bei einem vollständig durchgeplanten Tagesablauf, bei dem ich jede Minute weiß, was zu tun ist, saß ich jetzt einfach nur da und tat nichts, außer zu atmen und zu beobachten. Meine Mundwinkel gingen von ganz allein ein Stück weiter nach oben. Ich war dankbar, dass ich diesen Moment der Ruhe so bewusst wahrnehmen konnte. So saß ich rundum zufrieden auf meinem Liegestuhl und genoss meinen kleinen aber so besonderen Glücksmoment.

Wie ich so meinen Gedanken nachhing, der Regen hatte schon längst wieder aufgehört, kam mir die Idee. Ja, ich will wieder schreiben. Was genau, war mir noch nicht ganz klar, ich würde einfach mal sehen, wohin es mich führt und ob es im Alltag überhaupt funktioniert. Aber das bin ich, das will ich tun.
Und plötzlich sprudelten die Ideen, wieder ganz so wie damals in der Schule. Jetzt hielt ich es nicht mehr aus, ich lief zu meiner Kabine und holte einen Stift. Ich wollte keine Sekunde mehr warten. Und so entstand, dankbar für die dezent gestalteten Innenseite der Deckel, dieser Text – handgeschrieben – direkt auf den Seiten der Zeitschrift, die mir die Inspiration dafür gab.


P.S.:
Als ich schließlich, nachdem ich den Artikel fertig geschrieben hatte, das Außenbecken betrat, riss für ein Moment die graue Wolkendecke auf, entblößte blauen Himmel und ließ für ein paar Sekunden sogar einige Sonnenstrahlen durch.